Mittwoch, 5. November 2014

Impliziter Autor?

Wem ist das nicht schon einmal passiert? Man liest einen spannenden Thriller, der gleichzeitig viel zu blutrünstig, aber auch gleichzeitig viel zu spannend ist, um ihn aus der Hand zu legen und während des Lesens stellt man sich immer wieder die Frage: "Welche gestörte und geniale Seele hat sich so etwas ausgedacht?", bis man voller Neugierde den Klappentext hinten aufschlägt und geschockt das Foto eines alten, komplett langweilig aussehenden Mannes vorfindet. Das Bild von dem schwarzhaarigen, fies lachenden Autor verschwindet und man stellt fest, dass der wirkliche Autor auf dem schwarzweiß gehaltenen Foto, auch der ehemalige Deutschlehrer sein könnte.

Vor ein paar Jahrzehnten stellte ein amerikanischer Literaturwissenschaftler namens Wayne C. Booth die Theorie eines "impliziten Autors" in seinem Werk The Rhetoric of Fiction (1961) auf. Booth kommt zu der Annahme, dass zu jedem geschriebenen Text auch ein immer ein implizierter Autor gehöre. Dieser sei sogesehen eine andere Version des Autors selbst und in jedem Text dieses Autor käme eine andere "implizierte" Version dieses Autors vor. Die Art, wie dieser implizierte Autor dann allerdings aussehen soll, ist dem Leser überlassen.

"Wie unpersönlich er auch zu sein versucht, sein Leser wird sich unweigerlich ein Bild von dem offziellen Schreiber konstruieren, der auf diese Art und Weise schreibt." (Booth, 1961)
Die Schreibweise des Autors beeinflusst also nicht nur den Leser in der Hinsicht, wie er sich das Geschriebene vorstellen soll, sondern der Leser versucht auch damit ganz automatisch Hinweise über den Autor herauszufinden. Wieso sonst, sollte man versuchen eine Intention des Autors herauszufinden? Man möchte wissen, welcher Typ hinter diesem Text steckt und da der Text der einzige Anhaltspunkt ist mit dem wir uns auf die Persönlichkeit des Autors beziehen können, konstruieren wir das Bild des Autors auf dieser Basis, das nicht dem realen Autor entspricht.

Gegen diese Theorie gibt es allerdings auch Gegenstimmen. Eine von diesen ist der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette.
"Eine Fiktionserzählung wird fiktiv von ihrem Erzähler produziert und faktisch von ihrem (realen) Autor; zwischen ihnen wird kein Dritter aktiv." (Genette, 1983)
 Die Instanzen des Autors und des Erzählers sind laut Genette, also so ausfüllend für den Text, dass es keinen Platz mehr für einen implizierten Autor mehr gibt, denn der Erzähler ist intradiegetisch die Hauptinstanz für die Existens des Textes, während der Autor es extradiegetisch ist.Genette begründet in Nouveau discours de récit ("implizierter Autor, implizierter Leser?), dass die Instanz des implizierten Autors überflüssig sei und nennt dafür mehrere Beispiele. Letztendlich kommt Genette zum Schluss, dass nicht der Leser den Autor impliziert, sondern der Autor den Leser.

"Der Autor einer Erzählung wendet sich, wie jeder Autor, an einen Leser, den es in dem Moment, wo er sich an ihn wendet, noch nicht gibt und vielleicht nie geben wird." (Genette, 1983)
 Der Autor bildet sich im Moment des Schreibens einen Leser ein für den er diesen Text schreibt, denn man bildet sich immer jemanden ein, der seinen Text lesen wird. Auch ein Eintrag im Tagebuch ist für einen Leser geschrieben worden. Sei man es selbst in dreizig Jahren, oder Familie, Freunde und Exfreund, denen dieses Buch nach dem persönlichen Ableben in die Hände fällt. Wenn man sich zu hundertprozent sicher ist, dass es keinen Leser gibt oder geben wird (noch nicht einmal Archäologen, die das Werk tausend Jahre später ausgraben und entschlüsseln werden), dann schreibt man nicht.

So unterstütze ich schonmal Genettes These des implizierten Lesers, aber ich unterstütze auch Booth in seiner Vorstellung des impliziten Autors. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich beide Konzepte dieser Autoren richtig verstanden habe, denn die Texte waren jeweils sehr kompliziert und schwer zu lesen/bzw. zu verstehen. Allerdings habe ich durch die Lektüre der beiden Texte wieder einige Erkenntnisse gewinnen können. Zum einen meine obengenannte Es-muss-immer-einen-Leser-geben-Erkenntnis und zum anderen, dass man Booths Theorie des impliziten Autors auf unser heutiges Leben in socialmedia und co übertragen kann. Denn durch die Bilder, die wir bei Instragram veröffentlichen und durch Posts und Bilder bei Facebook wollen wir doch auch immer selbst, den anderen ein gewisses Bild von uns vermitteln. Wir wollen durch das was wir posten und veröffentlichen so auf andere wirken, wie wir selbst gerne sein wollen würden. Zum Beispiel besonders schön (nur die zum zehnten Mal bearbeiteten Fotos werden hoch geladen), beliebt (das Foto mit den meisten Leuten drauf kommt hinterher), intelligent (Ich poste meinen philosophischen Gedanken). MIt all diesen Sachen implizieren wir den anderen eine Persönlichkeit, die wir vielleicht gar nicht sind, aber durch unsere geposteten Sachen wirken wir so.

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Quellen:
Booth, Wayne C. (2007 [1961]): "Der implizierte Autor". In: Jannidis, Fotis; Lauer,Gerhard; Martinez, Matias und Winko, Simone (Hrsg.): Texte und Theorie der Autorschaft. Stuttgart, S.142-152

Genette, Gérard: "Implizierter Autor, implizierter Leser?". In: Jannidis, Fotis; Lauer,Gerhard; Martinez, Matias und Winko, Simone (Hrsg.): Texte und Theorie der Autorschaft. Stuttgart, S. 233-246


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